Über das Festival

Erasmus klingt! – Festival Lab 2024: Die Klage des Friedens

Basels historische Altstadt wird vom 9. bis 15. September 2024 zum zweiten Mal Schauplatz des interdisziplinären Festivals Erasmus klingt! – Festival Lab; die epochale Figur des Erasmus von Rotterdam, der viele Jahre in Basel gewirkt hat, steht im Zentrum des Barockfestivals, das im Hinblick auf Erasmus’ 500stes Todesjahr 2036 fortan als Biennale stattfindet. Das Festival wird in Zusammenarbeit mit diversen Basler Bildungs- und Kulturinstitutionen durchgeführt, darunter die Universität Basel, die Schola Cantorum Basiliensis und die Volkshochschule beider Basel sowie diversen Museen.

Für die zweite Ausgabe von Erasmus klingt! – Festival Lab dient Erasmus’ Werk «Die Klage des Friedens» / «Querela Pacis» (1517) als Quelle der Inspiration. Die Konzerte und weitere Veranstaltung widmen sich dem Thema Frieden: ein Thema, das für vermeintlich alle Menschen von grosser Bedeutung ist und das sowohl die säkulare Welt als auch die religiöse Kultur umfasst. Wie heute, war auch die Zeit von Erasmus, zu Beginn der Neuzeit, geprägt von Gewalt: Viele Gelehrte erhoben ihre Stimme gegen die zahllosen Kriege, die in Europa entflammten. Aus diesem Grund werden wir die nächste Ausgabe unseres Festivals Erasmus' Werk «Klage des Friedens» (1517) widmen, einem Werk von grossem ethischen Wert. In diesem Buch kämpfte der Humanist mit all seiner Überzeugungskraft, um die Absurdität des Krieges und die Vorteile des Friedens zu beklagen und anzuklagen. Sein Ziel war es, die Bedeutung der Solidarität und der Menschenwürde zu verdeutlichen, indem er die Kultur als ein mächtiges Instrument für das Leben in der Gemeinschaft ins Feld führte.

Die Veranstaltungen des Festivals orientieren sich an einigen der Hauptthemen von Erasmus, die aus einer historischen Perspektive neu interpretiert werden: In einigen Konzerten geht es um Geschichten des Alten Testaments, die von Manipulation, Krieg und Frieden handeln (so beim Forschungsprojekt und der Erstaufführung des Oratoriums «David e Bersabea» von Nicola Porpora, welches in Zusammenarbeit mit der Schola Cantorum Basiliensis realisiert wird), oder um den Abschluss von Friedensverträgen (Frieden von Utrecht 1713, Westfälischer Friede 1648) sowie um die Vergegenwärtigung konkreter Kriegsereignisse (Konzert «Krieg und Frieden»). In anderen Konzerten wird das Thema des Konflikts in einer «menschlichen» Dimension beleuchtet: die schmerzlichen Folgen des Krieges (Konzert «Klänge des Krieges»), der Kampf der menschlichen Emotionen und der Konflikt zwischen Gefühl und Rationalität (die beiden Konzerte «Beyond» und «Combattimento»). Für die Hauptkonzerte konnten international bekannte Künstlerinnen und Künstler gewonnen werden. La Cetra Barockorchester & Vokalensemble, Jakub Józef Orliński, mit dem Barockorchester Il Pomo d’Oro, der Dresdner Kammerchor, Ensemble L’Arpeggiata mit Christina Pluhar, Dorothee Oberlinger mit der Akademie für Alte Musik, Musiker:innen der Schola Cantorum Basiliensis und Jordi Savall mit seinem Ensemble Hespèrion XXI.

Zwischen den musikalischen Werken an den Hauptkonzerten gibt es Lesungen aus Erasmus’ «Klage des Friedens». Tagsüber finden diverse Begleitveranstaltungen im Wildt’schen Haus in den Disziplinen Philosophie, Geschichte, Musikwissenschaft und Friedensforschung, u.a. mit Nicola Steiner, Prof. Dr. Maarten Hoenen, Dr. Thomas Kater, Dr. Barbara Bleisch, Dr. Kurt Steinmann, Christine Schraner Burgener, Prof Dr. Hanna Walsdorf, Katja Petrowskaja und Michael Schischkin sowie Stadtführungen und Veranstaltungen in verschiedenen Museen, dem Literaturhaus Basel sowie der Universitätsbibliothek Basel statt.

Tickets können ab dem 22. April 2024 online unter erasmus-klingt.kulturticket.ch, telefonisch unter 0900 585 887 (Mo-Fr 10.30–12.30 Uhr CHF 1.20/Min.) oder an den bekannten Vorverkaufsstellen erworben werden. Auch erhältlich ist der Festivalpass, welcher 25% Rabatt gegenüber den Einzelkarten sowie kostenloser Eintritt zu den Begleitveranstaltungen gewährt.

 

«Verrücktes» erlebbar machen
Prolog 2022 Christoph Müller, künstlerisches Management und Gründer von Erasmus klingt! – Festival Lab 

Zu sagen, dass mit «Erasmus klingt» für mich ein Traum in Erfüllung geht, ist nicht übertrieben. Als Cellist und Veranstalter habe ich seit Beginn meiner musikalischen und organisatorischen Tätigkeit eine Vorliebe zur Periode des Barock und der Frühklassik und bin fasziniert vom Leben und Denken früherer Epochen und Jahrhunderte. Besonders reizvoll ist für mich die Tatsache, dass für die Menschen sowohl in der Antike und der Renaissance als auch im 21. Jahrhundert Themen wie Macht, Eifersucht, Liebe und Tod stets existenziell waren und dass das Bedürfnis nach Ausdruck, Austausch, Debatte und künstlerischer Interaktion ungebrochen ist, unabhängig von der Zeit, in der wir leben. Das Erscheinungsbild unseres neuen Festivalformats versucht dies ins Bild zu rücken: Erasmus (in der Darstellung von Hans Holbein um 1530) im Heute, mit weissen Headphones im Stadtgetümmel, dem grünen Basler Tram im Hintergrund.

Die Idee, Erasmus’ Werke im biennalen Rhythmus bis zu seinem fünfhundertsten Todesjahr 2036 ins Zentrum eines Festivalformats zu stellen, ist auch mit dem Anliegen verbunden, deren Inhalte neu zu überdenken, zu deuten, zu vermitteln, zu diskutieren und sie vom Standpunkt verschiedener Disziplinen zu betrachten: Musik, Literatur, Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Basler Stadtgeschichte.

Dass es dennoch ein Musikfestival geworden ist, liegt sicher daran, dass Musik die unmittelbarste und emotionalste Ausdrucksform aller Kunstgattungen ist. Mit Musik möchten wir unsere Besucher:innen gewissermassen verführen; sie soll ihnen die Tür zu den Themenwelten des Erasmus öffnen. Auch wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass Erasmus Musik fern lag (bis auf wenige Aussagen im Zusammenhang mit der Handhabe von Kirchenmusik sind keine Hinweise auf Erasmus’ Musikliebe überliefert), haben wir es gewagt, die Musik ins Zentrum des Festivals zu stellen. Die Periode der Aufklärung und der aufkeimenden humanistischen Gedanken zu Beginn des 16. Jahrhunderts können als Katalysatoren der Musikgeschichte betrachtet werden. Hätte die Gesellschaft nicht darauf gebrannt, Gefühle durch Musik auszudrücken, wäre Monteverdi mit «Orfeo» (1607) wohl kaum auf die Idee gekommen, das Format der Oper zu entwickeln.

Erasmus kämpfte für die Freiheit des Individuums, er appellierte früh an den «freien Willen» jedes Menschen, kritisierte die Zustände in Kirche, Gesellschaft und Erziehung, aber auch zwischen Mann und Frau — und riskierte damit Kopf und Kragen, nämlich der berüchtigten Inquisition der katholi- schen Kirche zum Opfer zu fallen. Andererseits war er aber auch nicht willens, blindlings den Forderungen der Protestanten nachzukommen.

Es gehört zu den grossen Privilegien der Stadt Basel, dass mit Erasmus einer der universellsten Denker der Menschheitsgeschichte Teil ihrer Geschichte geworden ist. Wir erhoffen uns mit diesem Projekt, die Tragweite dieser bedeutenden Figur so umfassend wie möglich zum Ausdruck zu bringen. Dass inzwischen acht Basler Bildungsinstitutionen eine Partnerschaft mit uns eingegangen sind, bringt zum Ausdruck, wie enorm der Nachholbedarf in Bezug auf die Vermittlung zu Erasmus’ Werk tatsächlich ist.

Ich danke allen Partnerinstitutionen herzlich für ihre Bereitschaft, an diesem Experiment teilzuhaben. Besonderen Dank möchte ich dem Schriftsteller Alain Claude Sulzer ausdrücken, der mit seinen inspirierenden Ideen, seinem Wissen, seiner Neugierde, der Lust zur Recherche und mit seinem umfangreichen Netzwerk wesentlich dazu beitrug, namentlich die Nebenveranstaltungen sinngebend und logisch zu kuratieren. Auch der Musikwissenschaftler Giovanni Andrea Sechi beriet und berät mich in wesentlichen inhaltlichen Fragen und trägt dazu bei, dass die musikalischen Bezüge zu Erasmus‘ Werk hergestellt werden.

Ein solches Projekt wäre aber undenkbar ohne Partner und Sponsoren. Den Entscheidungsträgern des Swisslos-Fonds Basel-Stadt gebührt besonderer Dank für die grosszügige Förderung dieser neuen Festival-Initiative. Ohne diese initiale Zusage hätte ich kaum die Möglichkeiten gehabt, weitere Unterstützer zu gewinnen. Ihnen allen danke ich, dass sie mir das Vertrauen entgegenbringen, ein solches Projekt von der ersten Skizze auf dem weissen Blatt Papier bis zur Vollendung realisieren zu können.

Als Musiker und künstlerischer Manager verbindet sich mit der Erfüllung meines Traums von einem Barockfestival in der Basler Altstadt auch der Wunsch, künstlerische Inhalte «out of the box» in neuen Formaten greif-, spür- und fühlbar zu machen: Die «Verrücktheit» des Toren in einer Lesung oder Podiumsdiskussion rational zu verstehen, um sie danach im Konzert emotional nachvollziehen zu können, ist das Ziel dieses Projekts.

Ihr Christoph Müller, künstlerischer Manager
und Gründer von Erasmus klingt! – Festival Lab, Hochrhein Musikfestival, Basel

 

Vorstellung des Festivals Erasmus klingt! – Festlival Lab 2022
Prolog Giovanni Andrea Sechi, Musikwissenschaftler und künstlerischer Berater von Erasmus klingt! – Festival Lab

Warum ein Festival zu Ehren des Humanisten Erasmus von Rotterdam? Warum in einer Stadt wie Basel? Erasmus war ein Gelehrter, der im 15. und 16. Jahrhundert lebte und durch ganz Europa reiste. In seinen Werken entwickelt sich der Traum von einer Menschheit, die durch gemeinsame kulturelle Wurzeln vereint ist (dank humanistischer Studien). Aus diesem Grund wählte die Europäische Union 1987 Erasmus als Symbol einer intellektuellen Gemeinschaft, die Ländergrenzen überwindet und Vielfalt nicht als ein trennendes, sondern vielmehr als ein bereicherndes Element erachtet. Das Erasmus-Programm zur Förderung des europäischen Auslandsstudiums wurde nach ihm benannt. Und nicht ganz zufällig ist auch Basel - wo Erasmus lebte und 1532 starb - eine kosmopolitische Stadt, in der Studierende aus der ganzen Welt heute zusammentreffen, um gemeinsam zu studieren. Aus all diesen Gründen ist die Stadt Basel der ideale Ort, um einen neuen experimentellen Raum zu schaffen,

ein Laboratorium, in dem sich verschiedene Kulturen, Erfahrungen und Disziplinen gegenüberstehen können. Dieses Laboratorium ist «Erasmus klingt» – ein interdisziplinäres künstlerisches Festival, das im September 2022 zum ersten Mal ausgerichtet wird. Das Thema der ersten Ausgabe lautet «Folia», inspiriert durch eines der bekanntesten Werke von Erasmus, «Lob der Torheit», das 1509 erstmals in Latein (Moriae encomium) veröffentlicht wurde.

In dieser bissigen Satire begegnen wir einem imaginären Diskurs der Torheit, einer allegorischen Figur, in dem die Lügen aufgedeckt werden, hinter denen die Menschheit die Schlechtigkeit und das Leid der Welt zu verbergen sucht. Die Aufdeckung des Wahren und die Entlarvung des Falschen sind die beiden Themen, auf die sich der Diskurs der Torheit konzentriert. Am Ende des Buches ist die Torheit sehr viel «weiser» und «logischer» als so manche menschliche Tugend. Durch die allegorische Figur der Torheit verurteilte Erasmus seinerzeit die Korruption des Klerus und des Papsttums und verspottete die äusserlichen und formalen Aspekte der vorherrschenden Religiosität. Ein Tor ist jemand, der glaubt, dass bestimmte Gesten der Hingabe ausreichen, um ins Paradies zu gelangen, oder dass es genügt, eine Münze in eine Schale zu werfen, um von allen Sünden erlöst zu werden. «Lob der Torheit» war eines der erfolgreichsten literarischen Werke des 16. Jahrhunderts. Es wurde überall in Europa gelesen, in mehrere Sprachen übersetzt und erschien in zahlreichen Ausgaben und Imitaten. Die vielen Andeutungen, die Erasmus in diesem Buch hinterlassen hat, waren der Grund, warum wir uns bei der ersten Ausgabe von «Erasmus Klingt» für das Thema der «Follia» als roten Faden entschieden haben. Der Irrsinn, von dem Erasmus spricht, geht allerdings mit einer gehörigen Portion Mut einher: Um in einer derart schwierigen Zeit

wie heute ein neues künstlerisches Festival hervorzubringen, muss man in der Tat sowohl mutig als auch etwas verrückt sein. Trotz der schweren Auswirkungen der Covid-19-Pande- mie und angesichts eines Krieges in Osteuropa sind wir dennoch überzeugt, dass die Künste ein Medium für den wahren kulturellen Austausch sind – und damit auch für den Frieden. Daher fehlt es uns von «Erasmus Klingt» weder an Mut noch an Irrsinn, noch an der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dieselbe törichte Hoffnung, die Erasmus dazu brachte, die Fehler seiner Zeit anzuprangern und den Weg für moralische Werte zu ebnen, die sich am Frieden, an der Gegenüberstellung und an der Akzeptanz von Andersartigkeit orientieren. Disziplinen wie die Musik und die Geistes- wissenschaften sind gewiss die besten Botschafterinnen dieser moralischen Werte. Auf dass sie auf dem «Erasmus Klingt» — Festival ihren freien Ausdruck finden!