Begleitveranstaltung

Konzert Laboratorium klingt I

DI 13/09/2022 --- 17:00 Uhr --- Schmidenhof, Historischer Zunftsaal

«Erasmus: Musikalische Spuren eines europäischen Lebens»
Ensemble Rubens rosa: Karin Weston und Matthieu Romanens (Gesang), Aliénor Wolteche (Fidel), Mélina Perlein-Féliers (Harfe), Sara Maria Fantini (Laute)

Werke von J. Martini, L. Fogliano, A. Agricola, J. Hesdimois, A. Stringarius Patavis, Pfabinschwantz, J.D. Prioris

Unser Programm erinnert mit einer Mischung aus Instrumental- und Vokalmusik aus Liederbüchern des 16. Jahrhunderts an drei Stationen im Wanderleben des Erasmus von Rotterdam: Utrecht, wo Erasmus Chorknabe war und Priester wurde, Italien mit Turin, Venedig und Florenz und dem Entwurf von Lob der Torheit und natürlich Basel bis zu seinem Tod.

 

1. Die Utrechter Lehrjahre

Anonym (c. 1500)
Iubilus Bernardi, Ihesu dulcis memoria

Anonym (c. 1500)
Virga Yesse

Anonym (c. 1500)
Die mey spruyt uut den dorren hout

Anonym (c. 1500)
Dic nobis, per quam regulam

Anonym (c. 1500)
Nec mihi nec tibi

2. Italienischer Aufenthalt: Turin, Florenz und Venedig

Johannes Hesdimois (c. 1500)
Tucto il mundo è fantasia

Johannes Martini (c. 1440–1497)
Se mai el cielo et fati fur benigni / Je remerchi dieu

Alexander Agricola (c. 1445–1506)
A la mignonne de fortune

Antonius Stringarius Patavus (c. 1500)
Son più matti in questo mondo

3. Basel, Stadt der Humanisten

Bonifacius Amerbach (1495–1562)
Präludium

Anonym (c. 1510)
Die vollen bruoder kond oüch dar zú

Pfabinschwantz (c. 1500)
Maria zart von Edler art

Johannes Dionysius Prioris (c. 1460-1514)
Dulcis amica dei

 

 

Unser Programm erinnert mit einer Mischung aus Instrumental- und Vokalmusik an drei Stationen im Wanderleben des Erasmus von Rotterdam. Zunächst machen wir Halt in Utrecht, wo dieser große Geist der Renaissance Chorknabe war, bevor er 1492 zum Priester geweiht wurde. Genau um 1500 wurde in einem Kloster unweit der Stadt das Manuskript Berlin, germ. oct. 190 zusammengestellt, das besser als Utrechter Liederbuch bekannt ist. Diese Sammlung steht höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Devotio moderna, einer Frömmigkeitsbewegung, die das geistliche Leben des späten Mittelalters in Nordwesteuropa prägte. Mit seinem Gedankengut, das den Menschen dazu anhält, das Leben Jesu nachzuahmen, ist Erasmus ein direkter Erbe dieser spirituellen Strömung. Der Hymnus Jesu dulcis memoria oder Jubilus Bernardhi, benannt nach seinem Verfasser Bernhard von Clairvaux, ist eine Meditation über den erfahrenen Trost durch und die anhaltende Sehnsucht nach der Gegenwart Jesu. Das Liederbuch präsentiert eine zweistimmige musikalische Version davon, die wir hier mit Gesang und Instrumenten vortragen.

Italien übte einen tiefen Einfluss auf das humanistische Denken von Erasmus aus. Zwischen 1506 und 1509 hielt er sich in mehreren Städten auf, darunter Turin und Venedig. Auf den Straßen Italiens entwarf er auch sein berühmtes Lob der Torheit, das er in England bei seinem Freund Thomas More vollenden sollte. Die Universität Turin verlieh ihm 1506 den Doktortitel in Theologie. Aus dieser Stadt stammt das Musikmanuskript I-Tn MS Ris.mus I. 27, das ein Repertoire aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts enthält. Die Bergerette A la mignonne de fortune von Alexander Agricola ist in dieser Sammlung überliefert. Sie weist für ihren Komponisten typische Merkmale auf: eine Mischung aus Vokalität und instrumentalen Eigenheiten, die von der Nachwelt als ungewöhnlich, bizarr, ja sogar verrückt bezeichnet wurde. Während seines Aufenthalts in Venedig arbeitete Erasmus mit dem Verleger Aldus Manucius zusammen, bei dem er einige seiner Werke drucken ließ, darunter auch seine berühmten Adages. Ottaviano Petrucci spielt im Bereich der Musik eine ähnliche Rolle wie Aldus Manucius. Das aus seinem Libro undecimo de frottole stammende Son più matti in questo mondo von Antonius Patavus erinnert an zahlreiche Passagen aus Erasmus' Eloge, deren ganze Paradoxie sich in dem berühmt gebliebenen Satz zusammenfassen lässt: "Es ist doch die schlimmste Torheit, in einer Welt von Narren weise sein zu wollen!".

Erasmus lebte mehrmals in Basel: von 1514 bis 1516, von 1521 bis 1529 und von 1535 bis zu seinem Tod im Jahr 1536. Die Stadt am Rhein liefert uns wertvolle musikalische Zeugnisse aus dieser Zeit, wie das Liederbuch von Ambrosius Kettenacker, einer Persönlichkeit, die eher als Reformator von Riehen bekannt ist. Kettenackers Buch bestand einst aus vier Teilen, von denen nur das Buch mit der Bass-Stimme überliefert ist. Um Stücke wie Maria zart von edler art mit Kettenackers Bass zu interpretieren, müssen die fehlenden Stimmen aus anderen Quellen rekonstruiert werden. Diese Arbeit wurde von Prof. Dr. Marc Lewon durchgeführt, dessen Editionen wir verwenden. Kettenacker vermachte sein Liederbuch seinem humanistischen Freund Bonifacius Amerbach, der eine sehr wichtige Sammlung von Orgeltabulaturen anlegen sollte. Aus dieser Sammlung entnehmen wir ein Stück von Agricola, Si dedero somnum oculus meis, und vertrauen es einem Duo aus Laute und Harfe an. Wir beenden unser Programm mit Dulcis amica dei, einer sehr kurzen Laudatio, die in den letzten Jahrzehnten des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreitet war. Dieses Gebet, das die Jungfrau Maria dazu auffordert, der Menschen im Augenblick ihres Todes zu gedenken, knüpft an das erste Stück unseres Programms an und erinnert gleichzeitig an eine bemerkenswerte Tatsache:

1536 gab es in Basel keinen Priester mehr, der die Totenmesse des Humanistenfürsten Erasmus, der dem Katholizismus treu geblieben war, zelebrieren konnte. Das Münster, das nun protestantisch war, erwies ihm dennoch die posthume Ehre, seine sterblichen Überreste in seinen Mauern aufzubewahren.

 

Text: Ensemble Rubens rosa